«Wir müssen am Leben bleiben, um diese Arbeit zu leisten»

Caryn Dasah (links) und ihre Kollegin bei der jährlichen Veranstaltung "Youth Champions for Peace". Foto zur Verfügung gestellt von PeaceWomen Across the Globe
FriedensFrauen Weltweit

Netzwerk «Feminists Connecting for Peace» von FriedensFrauen Weltweit
Links:
FriedensFrauen Weltweit

Caryn Dasah ist Jugendleiterin und Aktivistin für soziale Gerechtigkeit und Frieden in einem Land, das einen global wenig beachteten bewaffneten Konflikt erlebt: Die anglophone Krise in Kamerun.

In Kamerun kam es 2017 in zwei Regionen zu Gewaltausbrüchen, nachdem die frankophone Zentralregierung hart gegen einen gewaltlosen Streik von Lehrer:innen und Jurist:innen als Protest gegen die Berufung frankophoner Richter:innen in die englischsprachigen Regionen im Süd- und Nordwesten des Landes sowie gegen die allgemeine Ausgrenzung der englischsprachigen Bevölkerung vorgegangen war. Aus dieser Unterdrückung ging eine bewaffnete separatistische Bewegung hervor. Infolge von Kampfhandlungen zwischen den Separatistengruppen und den Sicherheitskräften der Regierung wurden hunderttausende Menschen vertrieben – die meisten davon Frauen und Kinder. Über 60 Prozent der Bevölkerung Kameruns ist jünger als 25: Der Konflikt betrifft also vor allem junge Menschen, die darum eine treibende Kraft für die Friedensförderung sind. Auch Caryn Dasah gehört dazu.

Seit 13 Jahren arbeitet sie in ländlichen Gemeinschaften in den Bereichen Friedensförderung und Advocacy und ist Gründerin mehrerer Projekte und Programme. Zudem hat sie die allgemeine Koordination des «Cameroon Women’s Peace Movement» (CAWOPEM, Friedensbewegung der Frauen in Kamerun) inne, zu der 200 frauengeführte zivilgesellschaftliche Organisationen aus allen zehn Regionen Kameruns gehören. 2019 führte die damals 27-jährige eine CAWOPEM-Delegation zu einer Vorkonsultation für die von der Regierung initiierten Friedensgespräche – den «grossen nationalen Dialog».

Wurden Sie durch ein bestimmtes Erlebnis dazu veranlasst, aktiv zu werden?
Ich stamme aus dieser Region, in der gerade Chaos herrscht. Die Tötungen, die Entführungen, willkürliche Verhaftungen und Zwangsverschleppungen zu Beginn des Konflikts waren erschütternd. 2017 wurden dann mehr als 20 Dörfer in Meme im Südwesten niedergebrannt. Ich meldete mich freiwillig bei einer Organisation, um humanitäre Hilfe zu leisten. Angesichts all dieser Ungerechtigkeit konnte ich nicht untätig bleiben.

Wie reagierte Ihre Familie auf Ihr Engagement?
Sie sagten, ich würde mein Leben riskieren. Und das stimmt. Als ein Video eines gewissen «Capo Daniel» kursierte, der mich nach der Veröffentlichung einer von mir mitverfassten Stellungnahme mit einem Aufruf zur Beendigung der Gewalt ins Visier nahm, wurde ich verfolgt und bedroht. Ich konnte nur eines tun: mich zurückziehen, bis sich die Situation beruhigt hatte. Mein Aktivismus bringt auch meine Familie – inklusive meiner Geschwister – in Gefahr. Wegen der Drohungen und Angriffe musste ich meinen jüngeren Bruder in eine Schule in einer sichereren Stadt schicken.

Welcher Teil Ihrer Arbeit stellt junge Menschen gezielt in den Fokus?
Wir haben frauen- und jugendfreundliche Räume geschaffen, in denen ein inklusiver, lokal verankerter und mitgetragener Frieden gedeihen und gefördert werden kann, der die Eigenheiten der Menschen und des Kontexts berücksichtig. Das Projekt «HerPlace» (IhrPlatz) bezieht Frauen als Friedensfördernde an der Basis mit ein und stärkt ihre Fähigkeiten. Durch das von der «Women’s Alliance for Security Leadership» ins Leben gerufene Programm «She Builds Peace» (Sie fördert Frieden) unterstützen wir Organisationen unter der Leitung junger Frauen, indem wir ihnen den Austausch über ihre Arbeit mit Partner:innen und potenziellen Geldgeber:innen ermöglichen. Das jährlich stattfindende Projekt «Youth Champions for Peace» (Jugendchampions für den Frieden) stärkt junge Menschen und befähigt sie, Jugendliche über Themen wie – unter anderem – Drogenmissbrauch sowie die Bekämpfung und Prävention von gewalttätigem Extremismus zu unterrichten.

Wie betrifft der Konflikt die jungen Menschen?
Junge Menschen gelten als Unruhestifter:innen, was zu Unterdrückung , Bedrohungen und Verhaftungen führt. Jungen Frauen geht es noch schlechter. Sie werden als Sexsklavinnen missbraucht, vergewaltigt, geschlagen und mit ungewollten Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten alleingelassen. Wegen der Zerstörung und Unsicherheit sind viele in sicherere Gegenden geflohen. Unzählige wurden vertrieben und die Armut hat zugenommen. Viele müssen sich unter grausamsten Bedingungen alleine durchschlagen.

Welche Rolle spielen junge Menschen bei der Friedensförderung in Kamerun?
Sie stehen an vorderster Front und prangern Ungerechtigkeiten lautstark an, sie sind in den sozialen Medien aktiv, wo sie die Welt über die Situation in Kamerun auf dem Laufenden halten, und sie arbeiten bei Advocacy-Initiativen und -Kampagnen mit. Allerdings stehen sie enormen Herausforderungen gegenüber: Todesdrohungen, weil die Kriegsparteien sie als Bedrohung sehen; Trolling und Angriffe; Verhaftungen, um sie mundtot zu machen, wenn sie öffentlich Missstände aufzeigen; einem erschwerten Zugang zum Hinterland, um dort präsent zu sein; und fehlenden oder eingeschränkten Geldmitteln für Jugendorganisationen, weil sie die oft unrealistischen Erwartungen der Geldgeber:innen nicht erfüllen.

Werden sie von der Regierung und anderen Behörden ernst genommen?
Trotz all der Arbeit, die junge Menschen leisten, gibt es sie immer noch, die Jugendpolitik als reine Symbolpolitik. Wir bekommen noch immer nicht genug Anerkennung für unsere Teilnahme an zentralen Treffen und Gesprächen. Zum Beispiel waren wir letztes Jahr bei den Vorgesprächen zwischen der Regierung und den von Kanada unterstützten Separatisten vertreten.

Welche Unterstützung seitens der internationalen Gemeinschaft benötigen junge Friedensfördernde in Kamerun?
Sie brauchen sowohl Plattformen, auf denen sie über den anhaltenden Konflikt sprechen und ihre Arbeit präsentieren können, als auch Mentoring und Lernmöglichkeiten wie etwa Austauschprogramme. Sie benötigen Fördergelder und Anerkennung. Da sie bei der Arbeit mit Gewalt in Berührung kommen, brauchen sie psychologische Unterstützung. Sicherheit und Schutz ist ebenso zentral. Wir müssen am Leben bleiben, wenn wir diese Arbeit weiterhin leisten wollen. Die meisten von uns sind auf sich gestellt, wenn sie bedroht oder angegriffen werden. Geldgeber:innen und Partner:innen können Organisationen fördern, die gefährdete Friedensfördernde unterstützen.

<>