Kultur und Religion – Schlüssel der Friedensförderung

Demonstration für interreligiösen Frieden 2017 in Jakarta/Indonesien – mit Hilfe eines kulturellen Symbols. Dasril Roszandi/NurPhoto, Getty Images
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Was ist Kultur? Ganz einfach: alles, was wir unseren Kindern beibringen. Was und wie wir essen, wie wir uns kleiden, welche Sprache wir sprechen, was wir normal oder merkwürdig finden. Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff Kultur (nach J. Bolten) das, was wir besonders pflegen und schätzen (z.B. Literatur und Kunst) oder was wir feiern und verehren (Kult, z.B. Starkult oder Gottesdienst). Im weiteren Sinne aber steht sie auch für das, was wir anbauen (Kulturpflanzen) oder für die Art und Weise, wie wir zusammenleben (die Lebenswelt). Denn Kultur umfasst alles, wie Menschen das Leben gestalten.

Damit wird bereits deutlich, dass Kultur in der Friedensförderung eine entscheidende Rolle spielt, ja dass Frieden ohne Kulturbezug schwerlich gefördert werden kann. Kultur spielt dabei eine doppelte Rolle:

Einerseits entzünden sich Konflikte teilweise an Kulturunterschieden. Oder kulturelle Unterschiede werden instrumentalisiert, um Konflikte zu befeuern. Immer wieder werden ethnisch-kulturelle Zugehörigkeiten ausgespielt, um Menschen auseinander zu bringen. Nach der hoffnungsvollen Unabhängigkeit des Südsudan im Jahr 2011 verunglimpften die Kontrahenten im blutigen Machtkampf die Gruppenzugehörigkeit der gegnerischen Gruppen (Dinka oder Nuer), um ihre eigene Position zu stärken. Friedensförderung muss diese Zusammenhänge analysieren und berücksichtigen.

Andererseits halten Kulturen Mittel bereit, um Konflikte zu überwinden. Gemeinsame Normen und Werte (das, was wir für richtig und wichtig halten) können Unterschiede überbrücken. Traditionelle Formen der Konfliktbearbeitung können von verschiedenen Gruppen anerkannt werden. Kunst kann Konfliktsituationen reflektieren und zu Lösungen beitragen. Bei einer Kunstaktion im Irak haben Kinder einen Panzer farbig bemalt und damit ein Symbol geschaffen, das auf Kriegstraumata aufmerksam macht und die Hoffnung auf Frieden stärkt. Der indonesische Künstler Wisnu Sasongko gibt den Personen in seinen Gemälden unterschiedliche Farben, um gegen interreligiöse Gewalt zu protestieren und für das Zusammenleben in «Harmonie und Diversität» zu werben. Friedensförderung muss das kulturelle Potential nutzen.

In diesem Zusammenhang kommt Religion als Spezialfall von Kultur ins Spiel. Das eben Gesagte gilt besonders für Religion, weil sie nicht nur das menschliche Leben prägt und Zugehörigkeit schafft, sondern mit einem eigenen Wahrheitsanspruch verbunden ist.

Religionen werden in zahlreichen Konflikten als Brandbeschleuniger missbraucht, um Identitäten zu verhärten (wir sind die Guten), Gegner zu verunglimpfen (die anderen sind die «Achse des Bösen») und Themen zu dramatisieren (es geht um nichts weniger als die Durchsetzung der Wahrheit). So wurden religiöse Stätten wie Kirchen oder Moscheen verwüstet oder heilige Bücher wie der Koran oder die Bibel öffentlich verbrannt. In einigen Ländern erleben religiöse Minderheiten Entzug von Bürgerrechten, Gewalt und Vertreibung. Die Fehlinterpretation von Religion kann in allen Religionsgemeinschaften zu extremistischem Verhalten führen.

Doch Religionen haben auch ein besonderes Friedenspotential. Unbestritten ist, dass alle Weltreligionen das Gebot lehren, das Leben zu achten und das eigene Handeln am Wohl der Mitmenschen auszurichten. Doch diese «Goldene Regel» wird offensichtlich nicht automatisch respektiert. Sie braucht Sensibilisierung, Bildung und Einübung.

Dass Religionsgemeinschaften in Friedensprozessen tatsächlich eine besondere Rolle spielen (M. Weingardt), hängt damit zusammen, dass sie oft über Generationen hinweg in konfliktbetroffenen Gebieten präsent und in lokale Netzwerke eingebunden sind. Zudem sind sie meist sehr direkt von Konflikten betroffen, weil ihre Mitglieder teilweise sogar zu unterschiedlichen Konfliktparteien gehören. Weil es bei Religionen um persönliche Beziehungen und gegenseitige Hilfe geht, fühlen sich Religionsgemeinschaften mit den Betroffenen emotional verbunden. Und schliesslich geniessen ihre Repräsentant:innen vielerorts einen hohen Vertrauensbonus, im Gegensatz zu politischen Akteur:innen.

Das ist der Grund, warum Mission 21 als glaubensbasierte Organisation mit einer mehr als 200-jährigen Geschichte einen besonderen Schwerpunkt auf die Rolle der Religion(en) legt und die «transkulturelle und interreligiöse Friedensförderung» als eines ihrer wichtigsten Themen versteht. In Konflikten entlang eher kultureller Grenzen wie in Kamerun oder im Südsudan unterstützen wir Partnerkirchen und -organisationen, die manchmal als einzige noch Kontakte zu beiden Seiten haben und sich um Verständigung bemühen. In Konflikten entlang eher religiöser Grenzen wie in Indonesien oder Nigeria arbeiten wir mit christlichen und muslimischen Organisationen zusammen, um den Frieden zu fördern.

Kurzfristig geht es in der internationalen Zusammenarbeit darum, den Betroffenen von Konflikten beizustehen: durch Sicherung der Lebensgrundlagen, Nothilfe, Wiederaufbau und Traumabearbeitung. Längerfristig geht es um Mass­nahmen in drei sich ergänzenden Bereichen: sich zu begegnen, sich verstehen zu lernen und sich solidarisieren. Die indonesische Partnerorganisation Jakatarub lädt regelmässig 50 Jugendliche zu Jugendcamps ein. Immer ein:e Muslim:in und ein:e Christ:in teilen sich ein Doppelzimmer – oft erst nach anfänglichen Protesten. Während sie sonst in verschiedenen Stadtvierteln oder Landesteilen wohnen und sich kaum begegnen würden, lernen sie hier zum ersten Mal Angehörige einer anderen Religion persönlich kennen. In der kurzen Zeit eines Wochenendes lösen sich viele Vorurteile auf, teilweise entstehen sogar dauerhafte Freundschaften.

Beim Jugendbotschaftsprogramm von Mission 21 begegnen sich junge Erwachsene aus verschiedenen Kontinenten und tauschen sich intensiv über ihre kulturellen Prägungen aus. Sie arbeiten gemeinsam an gesellschaftlichen und persönlichen Themen und lernen einander (und sich selbst) besser zu verstehen. Einige von ihnen berichten in dieser Ausgabe, was das für sie bedeutet.

Kultur in der Friedensförderung zu berücksichtigen und zu nutzen, ist keineswegs selbstverständlich. Oft wurden Kulturen und Religionen verdächtigt, mit ihren Unterschieden den Frieden eher zu stören als zu fördern. Oft erschienen externe, vermeintlich neutrale Friedenslösungen einfacher und effektiver. Aber das Bewusstsein wächst, dass Frieden nur mit Bezug zu Kultur und Religion gefördert werden kann. Sich mit kulturellen Gegebenheiten zu beschäftigen und religiöse Prägungen ernst zu nehmen, ist eine anspruchsvolle und langwierige Arbeit. Sie erfordert, lokale Akteur:innen massgeblich einzubeziehen. Wir sehen darin ein grosses Lernfeld, das wir als internationale Lerngemeinschaft erforschen und entwickeln wollen. Dazu soll auch das International Forum «Daring Reconciliation?!» dienen, das im September online stattfinden wird.

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