Für einen gendergerechten Wiederaufbau

Die Teilnehmerinnen von FrauenFriedensTischen vor dem landesweiten Kriegsausbruch entwickeln ihre eigene Projekte, so auch den Kurs «Gesunde Frau – Gesunde Gemeinschaft». Kharkiv, 2021. PWAG
PWAG - FriedensFrauen Weltweit
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Unsere Arbeit mit Frauen in der Ostukraine hat bereits vor der Eskalation des Krieges am 24. Februar 2022 gezeigt, dass Gewalt gegen Frauen eine Militärtaktik ist. Die Erfahrungen von Frauen müssen daher Teil der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen sein. Ansonsten kann es keinen nachhaltigen und gerechten Wiederaufbau und keine echte Sicherheit in der Ukraine geben.


Im Jahr 2021 organisierten wir in der Ostukraine FrauenFriedensTische mit unserer Partnerorganisation Kharkiv Regional Foundation Public Alternative (PA). In geschütztem Rahmen diskutierten Frauen mit vielfältigen Biografien über Sicherheit. Sie teilten ihre Erfahrungen in einem neuen Kreis von Frauen. Themen waren häusliche Gewalt, Unsicherheit im öffentlichen Raum, Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und Armut. Gemeinsam formulierten sie Forderungen an die Behörden. Dann kam der Krieg. Besonders hart getroffen ist die Ostukraine, wo die Lebensbedingungen bereits vor dem Krieg prekär waren und die Mobilität vieler Menschen, besonders von Frauen, ohnehin eingeschränkt war. Das in den Gruppen gewonnene Vertrauen nutzen die Frauen nun als Basis für Nothilfe unterschiedlichster Art.


Ende 2022 lancierten wir das Nachfolgeprojekt «Women’s Platform for Peace». Die Frauen trafen sich wieder. Teilnehmerinnen waren Fachfrauen aus der Ostukraine und der Schweiz mit Erfahrungen in sozialer Arbeit oder im Kunstbereich. Dieses Treffen nutzten die Frauen, um ihre Sorgen, Ideen und Bedürfnisse untereinander und im Vertrauen auszutauschen und Gemeinsamkeiten zu entdecken . Auf dieser Basis wollen sie nun Projekte zum Aufbau der sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit und für gemeinsames Empowerment durchführen.
Im Workshop lernten die Frauen «Storytelling»-Techniken: Sie schrieben ihre Geschichten auf und erzählten sie einander. Alle waren sich einig: Diese Geschichten müssen öffentlich werden, für die Aufklärung von Kriegsverbrechen, für die Vergangenheits- und Versöhnungsarbeit und für einen menschenrechtskonformen, gendergerechten Wiederaufbau. Doch in der (Nach-) Kriegswirtschaft spitzt sich oft zu, was sich immer wieder zeigt: Budgets für Militär- und Überwachungstechnologien werden hochgefahren, die Gewinnsteuern für Konzerne gesenkt, zur Freude der kriegsgewinnenden Konzerne. Aussen vor bleiben Investitionen in Bildung, Gesundheit oder Gewaltprävention, die lokale Bevölkerung, die Frauen als «Care-Arbeiterinnen» sollen dies selbst richten. Aus feministischer Perspektive eine höchst konfliktive und ausbeuterische Politik.


Die Erfahrungen von Frauen sind aufschlussreich, sie spiegeln die Gewaltdimension des patriarchalischen Gefüges der Gesellschaft wider, nicht nur in Zeiten von Krieg. Die Ukraine hat einen Vorteil, da es doch zahlreiche engagierte, feministische, mit den westlichen Abläufen vertraute Organisationen gibt, deren Forderungen auch für den Wiederaufbau ernst zu nehmen sind. Nur so erreicht die Ukraine eine menschen- und frauenrechtsbasierte integratives Gesellschaft. Wir fordern, dass die Erfahrungen der Frauen und ihre Stimmen in allen Konferenzen zum Wiederaufbau der Ukraine (wie die Ukraine Recovery Conference 2023) Gehör finden.

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