Erfüllung der Bedürfnisse der ukrainischen Zivilgesellschaft

Das Denkmal für die Gründer von Kiew, 2021. Yuriy Myronchyk
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Am 24. Februar jährt sich der Beginn des russischen Krieges in der Ukraine. Tatsächlich wird aber bereits seit 2014 ein sich ständig wandelnder «hybrider Krieg» mit Militäroperationen und anderen Formen sozialer und wirtschaftlicher Einflussnahme geführt.

Die ukrainische Zivilgesellschaft hat in diesem unvorhersehbaren und gefährlichen Kontext ein starkes Rückgrat aufgebaut. Nach dem Einmarsch wurde eine leistungsfähige Freiwilligenbewegung mobilisiert, um die soziale und humanitäre Katastrophe zu lindern. Doch die Zerstörung und Vertreibung im vergangenen Jahr hat die Organisationen vor Ort dazu gezwungen, ihre Aktivitäten schnell neu auszurichten. Sie haben ihre Arbeit auf die veränderten Bedürfnisse der Bevölkerung und die beispiellose internationale humanitäre Unterstützung abgestimmt. Für die Zivilgesellschaft in der Ukraine bringt dies zahlreiche Herausforderungen mit sich.

Organisationen lokaler Gemeinschaften reagieren auf die gravierenden gesellschaftlichen Einschnitte. Frauen übernehmen neue Rollen am Arbeitsmarkt oder als Führungskräfte in der Freiwilligenbewegung. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen mussten ihre Programme auf die Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie die Prävention umstellen. Ein grosser Teil der ukrainischen Bevölkerung ist schwer traumatisiert und weder staatliche noch ehrenamtliche Einrichtungen können dem hohen Bedarf im Bereich der psychischen Gesundheit gerecht werden. Deshalb sollte die internationale Unterstützung auch die trauma- und geschlechtsspezifischen Anforderungen der ukrainischen Gemeinschaften voll und ganz berücksichtigen. Das Ziel sollte sein, bei den lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen Kapazitäten und Fachwissen aufzubauen.

Aus der ukrainischen Zivilgesellschaft sind unzählige neue Akteur:innen hervorgegangen. Die traditionelle Hilfe wurde neu gestaltet und kleine Geber:innen bringen sich über akademische Gemeinschaften, Gewerkschaften und andere internationale Netzwerke deutlich stärker ein. Eine große Zahl von Freiwilligen vor Ort kann nun Mittel für Hilfe, Transport und Logistik erhalten. Durch die rasche Veränderung sind punktuell jedoch redundante Dienste entstanden, während sie andernorts fehlen. Ortsansässige Gruppen können mit Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, ganz anders interagieren als staatliche oder internationale Stellen, doch humanitäre Hilfe gelangt oft nur über grössere regionale Organisationen in die Dörfer.

Hier braucht es ein besseres Kontextverständnis, damit die Hilfe bei den Menschen und in den Gebieten ankommt, die sie am dringendsten benötigen – ohne Auflagen und konkurrierende Mandate. Ausserdem sollten lokale Stimmen ein Mitspracherecht erhalten. Mehr Transparenz und Kommunikation zwischen den Akteur:innen auf den unterschiedlichen Ebenen würde zu effektiveren humanitären Massnahmen beitragen und konfliktsensitive Stellen könnten für eine verbesserte Koordination sorgen.

Die ukrainische Zivilgesellschaft hat angesichts der Herausforderungen des letzten Jahres eine erstaunliche Resilienz bewiesen. Die internationale Reaktion sollte auf den Kontext und die Gegebenheiten vor Ort abgestimmt werden, um eine engere Zusammenarbeit zu ermöglichen und mit den ZGOs in der Ukraine am selben Strang zu ziehen. Nur wenn die Basis-Ebene mehr in den Vordergrund rückt und die besonderen Anforderungen der ukrainischen Zivilgesellschaft berücksichtigt werden, kann einen repräsentativen, integrativen Aufschwung und Wiederaufbau sowie einen dauerhaften Frieden in der Ukraine gewährleistet werden. 

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